Leipzig: Hartz IV Miet-Begrenzung unzulässig
Aktuell: Urteil 2014
Mietobergrenze von 4, 48 € für Hartz IV Empfänger in Leipzig, darf nicht angewendet werden
Schweigen anstelle von Aufklärung
Obwohl dieses Urteil bereits vor einigen Wochen / Monaten gefällt wurde, wenden die Jobcenter in Leipzig noch immer die rechtswidrigen Bestimmungen an! Betroffene sollten sofort per Widerspruch und Eilrechtschutzverfahren gegen falsche Bescheide vorgehen.
Denn mit diesem Urteil muss eine sehr viel höhere Kaltmiete übernommen werden!
Urteil des SG Leipzig zum Mietspiegel in Leipzig
SOZIALGERICHT LEIPZIG
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
In dem Rechtsstreit
............................. ........................ ..... ... .......... Leipzig
- Kläger -
gegen
Jobcenter Leipzig, vertreten durch den Geschäftsführer, Erich-Weinert-Straße 20, 04105
Leipzig
Beklagter ¦
hat die 9. Kammer des Sozialgerichts Leipzig auf die mündliche Verhandlung vom
13. Februar 2014 in Leipzig durch den Richter am Sozialgericht ........ und die ehrenamtlichen
Richter Herr Prof. ............ und Frau ....... für Recht erkannt:
I. Der Bescheid vom 21.11.2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom
19.12.2013 wird abgeändert und der Beklagte zu verurteilt, ihm Kosten
der Unterkunft und Heizung für die Zeit vom 01.01.2014 bis zum
30.06.2014 in Höhe von monatlich 357,96 € unter Anrechnung der bereits
geleisteten Zahlungen zu zahlen.
II. Die Berufung wird zugelassen.
III. Der Beklagte hat dem Kläger dessen außergerichtliche Kosten zu erstatten.
-2-S 9 AS 261/14-
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten steht die Höhe der Kosten der Unterkunft (KdU)
und Heizung in der Zeit vom 01.01.2014 bis zum 01.06.2014 im Streit.
Der Kläger ist alleinstehend. Er bewohnt eine 45,09 m2große Wohnung,
für die er im streitgegenständlichen Zeitraum eine Kaltmiete in Höhe von
monatlich 207,96 € sowie monatliche Betriebs- und Heizkosten in Höhe
von 150,00 €, insgesamt somit 357,96 €, zu zahlen hatte. Die Wohnung
wurde den Angaben des Klägers zufolge mit Erdgas beheizt.
Sie befindet sich in einem Gebäude mit einer Gesamtgebäudefläche von ca. 300 m2.
Der Kläger steht schon seit längerem im Leistungsbezug des Beklagten.
Mit Schreiben vom 19.11.2012 informierte der Beklagte den Kläger
darüber, dass seine Bedarfe für Unterkunft und Heizung das Maß der
anerkennungsfähigen Leistungen nach den Bestimmungen der Stadt Leipzig
überschreite. Die angemessene Bruttokaltmiete betrag für eine
Person-Bedarfsgemeinschaft 261,45 €/Monat. Die derzeitigen Bedarfe für
Unterkunft und Heizung könnten längstens für die Dauer von 6 Monaten
übernommen werden. Im Falle des Klägers bis zum 31.05.2013.
Mit
Bewilligungsbescheid vom 21.11.2013 gewährte der Beklagte dem Kläger
Arbeitslosengeld (Alg) II für die Zeit vom 01.01.2014 bis zum 01.06.2014
in Höhe von monatlich 713.95 €. Darin wurden die KdU und Heizung in
Höhe von 331.95 € berücksichtigt.
Hiergegen erhob der Kläger Widerspruch, weil vom Beklagten die tatsächlichen KdU und Heizung zu übernehmen sein.
Mit Widerspruchsbescheid vom 19.12.2013 wies der Beklagte den
Widerspruch zurück. Darin wurde ausgeführt, die tatsächlichen KdU und
Heizung beliefen sich auf monatlich 357.96 €, wobei Heizkosten in Höhe
von monatlich 70.50 € und Betriebskosten in Höhe von monatlich 79,50 €
zu Grunde gelegt würden.
Bei der Verwaltungsrichtlinie KdU der
Stadt Leipzig, die am 01.10.2012 in Kraft getreten sei, handele es sich
um ein „schlüssiges Konzept". Danach sei ein m2-Preis für die Grundmiete
in Höhe von 4,48 €/m2 und 1,33 €/m2 für die Betriebskosten sowie 1,20
€/m2für die Heizkosten angemessen.
Die abstrakt angemessene
Wohnungsgröße belaufe sich nach der Verwaltungsvorschrift zur Regelung
von Wohnflächenhöchstgrenzen des Freistaates Sachsen vom 07.06.2010 bei
einem Ein-Personenhaushalt auf 45 m2. Daraus errechne sich eine
Bruttokaltmiete in Höhe von monatlich 261,45 € (4.48 € zuzüglich 1.33 € =
5,81 € x 45 m2) zuzüglich der anerkannten Heizkosten in Höhe von
monatlich 70,50 €, insgesamt 331,95 €.
Damit würden die
tatsächlichen KdU und Heizung in Höhe von 357,96 €/Monat die
angemessenen KdU und Heizkosten um 26,01 €/Monat übersteigen.
Hiergegen hat der Kläger am 07.01.2014 Klage erhoben. Der Kläger
vertritt die Auffassung, dass der Beklagte seine tatsächlichen KdU und
Heizung zu übernehmen habe.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid vom 21.11.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom
19.12.2013 abzuändern und den Beklagten zu verurteilen, für die Zeit
vom 01.01.2014 bis zum 30.06.2014 Kosten der Unterkunft und Heizung in
Höhe von monatlich 357,96 € unter Anrechnung der bereits erfolgten
Zahlungen zu zahlen.
Der Beklagte beantragt,
1. die Klage abzuweisen.
2. Die Berufung zuzulassen.
Er vertritt die Auffassung, dass es sich bei der Verwaltungsrichtlinie
„Kosten der Unterkunft“, in Kraft seit 01.12.2012, um ein „schlüssiges
Konzept“ handle.
Entscheidungsgründe:
Die Klage zulässige ist begründet.
Der Kläger hat im streitgegenständlichen Zeitraum, nämlich in der Zeit
vom 01.01.2014 bis zum 30.06.2014, Anspruch auf Übernahme der KdU in
Höhe von monatlich 287,96 € (Kaltmiete 207,96 € und Betriebskosten 79,50
€) zuzüglich eines monatlichen Heizkostenvorschusses iHv 70.50 €,
insgesamt somit 357,96 €. Allerdings muss er sich die bereits gewährten
KdU und Heizkosten hierauf anrechnen lassen.
Streitig sind im
vorliegenden Fall allein Leistungen für Unterkunft und Heizung nach § 22
SGB II. Der Kläger hat sein Klagebegehren von vornherein
zulässigerweise auf diese Leistungen beschränkt (BSG, Urteil vom
01.06.2010- B 4 AS 78/09 R). Streitig sind zudem nur Leistungen für den
Zeitraum vom 01.01.2014 bis zum 30.06.2014.
Als
grundsicherungsrechtlicher Bedarf für KdU und Heizung sind nach § 22
Abs. 1 Satz 1 SGB II grundsätzlich die tatsächlichen Aufwendungen des
Hilfebedürftigen zu gewähren.
Die Vorschrift begrenzt die
Übernahme der tatsächlichen Aufwendungen jedoch zugleich auf die nach
dem SGB II angemessenen Kosten.
Die Angemessenheit der
tatsächlichen Aufwendungen für eine Wohnung ist nach der Rechtsprechung
des Bundessozialgerichts (BSG) in mehreren Schritten zu prüfen:
Zunächst ist die Größe der Wohnung des Hilfebedürftigen festzustellen
und zu überprüfen, ob diese angemessen ist. In einem zweiten Schritt ist
der maßgebliche räumliche Vergleichsmaßstab festzulegen. Schließlich
ist in einem dritten Schritt zu ermitteln, welcher Mietpreis für eine
abstrakt als angemessen eingestufte Wohnung auf dem für den
Hilfebedürftigen maßgeblichen Wohnungsmarkt aufzuwenden ist (angemessene
Mietobergrenze)
BSG, Urteil vom 17.12.2009 - B 4 AS 27/09 R. RdNr 15 f und Urteil vom 22.09.2009 - B 4 AS 70/08 R. RdNr 17
Eine solche Prüfung ist vorliegend nicht möglich, weil es an einem
sogenannten „schlüssigen Konzept“ fehlt und daher die angemessene
Mietobergrenze nicht bestimmt werden kann.
Nach der
Rechtsprechung des BSG ist der angemessene Quadratmeterpreis einer
Wohnung mittels eines schlüssigen Konzepts für einen homogenen
Lebensraum zu ermitteln. Der Träger der Grundsicherung hat deshalb
-soweit erforderlich- ein solches auf Anforderung vorzulegen (BSG,
Urteil vom 17.12.2009 - B 4 AS 27/09 R).
Ein schlüssiges
Konzept liegt nach der soeben genannten Entscheidung des BSG (Rdnr. 26)
dann vor. wenn der Ersteller, also der Grundsicherungsträger, planmäßig
vorgegangen ist im Sinne der systematischen Ermittlung und Bewertung
genereller, wenngleich orts- und zeitbedingter Tatsachen im maßgeblichen
Vergleichsraum sowie für sämtliche Anwendungsfälle
und nicht nur punktuell im Einzelfall.
Dazu gehört::
Die Datenerhebung darf ausschließlich in dem genau eingegrenzten und
muss über den gesamten Vergleichsraum erfolgen (keine Ghettobildung),
- es bedarf einer nachvollziehbaren Definition des Gegenstandes der Beobachtung, z.B. welche Art von Wohnungen
- Differenzierung nach Standard der Wohnungen.
Brutto- und Nettomiete (Vergleichbarkeit). Differenzierung nach Wohnungsgröße.
- Angaben über den Beobachtungszeitraum,
- Festlegung der Art und Weise der Datenerhebung (Erkenntnisquellen. z.B. Mietspiegel),
- Repräsentativität des Umfangs der eingezogenen Daten,
- Validität der Datenerhebung,
- Einhaltung anerkannter mathematisch-statistischer Grundsätze der Datenauswertung
und
- Angaben über die gezogenen Schlüsse (z.B. Spannoberwert oder Kappungsgrenze).
Sofern ein Mietspiegel nach § 558 c des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB)
diesen Anforderungen gerecht wird, ist er als Grundlage eines
schlüssigen Konzeptes zur Ermittlung der angemessenen Referenzmiete im
Vergleichsraum geeignet: BSG, Urteil vom 17.12.2009 B 4 AS 27/09 R,
Leitsatz Nr. 1
Der Leipziger Mietspiegel 2012, der hier
anzuwenden wäre, erfüllt die Voraussetzungen, die an ein schlüssiges
Konzept gestellt werden, nicht.
Es fehlen Angaben zum Beobachtungszeitraum und Erkenntnisquellen der Datenerhebung.
Wie die Auswertung des Datenmaterials erfolgte, wird zudem nicht
mitgeteilt. Auch bleibt offen, ob anerkannte mathematisch-statistische
Grundsätze der Datenauswertung berücksichtigt worden sind.
>>>Damit genügt der Mietspiegel nicht den Anforderungen der Statistik.<<<
Auch die von der Stadt Leipzig erlassene Richtlinie KdU vom 18.09.2012,
in Kraft getreten am 01.10.2012. kann nicht als schlüssiges Konzept
herangezogen werden. Bei der Datenerhebung wurde der Ist-Wert der
Grundmiete aus dem gewichteten Mittelwert (Median) der Kosten aller
Hilfeempfängerhaushalte gebildet.
Um aber einen realistischen
Ist-Wert der Grundmiete zu bekommen, ist es erforderlich, das die
Bildung eines Median aus den Kosten aller Haushalte im unteren
Marktsegment erfolgte. Dies ist aber nicht geschehen.
Der
Beklagte vertritt die Auffassung, dass es sich bei der Richtlinie KdU
vom 18.09.2012 um ein "schlüssiges Konzept" handelt, obwohl sie nicht
den Anforderungen an den vom BSG aufgestellten Voraussetzungen genügt.
Da die Mietkosten aller Haushalte von der Kammer nicht ermittelt werden
können, kann ein "schlüssiges Konzept" auf der Grundlage der
vorhandenen Erkenntnisse und Daten nicht entwickelt werden.
Bei
Fehlen eines schlüssigen Konzeptes kann es für die Bestimmung des
angemessenen m2-Preises im Endergebnis dazu fuhren, dass der
tatsächliche m2-Preis als angemessen zu Grunde zu legen ist. Allerdings
sind die KdU in einem solchen Fall nicht völlig unbegrenzt zu
übernehmen, sondern nur bis zur Höhe der durch einen Zuschlag maßvoll
erhöhten Tabellenwerte
nach § 12 Wohngeldgesetz (WoGG) (BSG. Urteil vom 18.02.2010 - B 14 AS 73/08 R. RdNr. 29).
Durch sie soll verhindert werden, dass extrem hohe und damit nicht
nur nach Auffassung des Grundsicherungsträgers, sondern per se
unangemessene Mieten durch den Steuerzahler zu finanzieren sind.
Die Heranziehung der Tabellenwerte ersetzt mithin die für den
Vergleichsraum und den konkreten Zeitraum festzustellende Referenzmiete
nicht. Sie dient lediglich dazu, die zu übernehmenden tatsächlichen
Aufwendungen zu begrenzen. Die Grenze findet sich insoweit in den
Tabellenwerten zu § 12 WoGG. Da insoweit eine abstrakte, vom Einzelfall
und den konkreten Umständen im Vergleichsraum unabhängige Begrenzung
vorgenommen wird, ist auf den jeweiligen Höchstbetrag der Tabelle, also
die rechte Spalte, zurückzugreifen.
Ferner wird vom BSG ein
„Sicherheitszuschlag" iHv 10 %zum jeweiligen Tabellenwert im Interesse
des Schutzes des elementaren Bedürfnisses des Hilfebedürftigen auf
Sicherung des Wohnraumes als erforderlich angesehen
(BSG, Urteil vom 12.12.2013 - B 4 AS 87/12 R, RdNr 27).
Die von der Beklagten zu tragende Mietzinsobergrenze für die Kaltmiete
einschließlich der kalten Betriebskosten errechnet somit wie folgt:
Nach § 12 WoGG richtet sich der jeweilige Höchstbetrag der Tabelle nach
den Mietstufen. Die Mietstufen wurden vom Bundesministerium für
Verkehr, Bau- und Wohnungswesen festgelegt.
Danach fällt
Leipzig in die Mietstufe 3. Der Tabellenwert der rechten Spalte und
unter Berücksichtigung der Mietstufe 3 beträgt demnach 330,00 €. Zu
diesen 330,00 € ist ein 10 %iger „Sicherheitszuschlag“ hinzuzählen, so
dass die Mietzinsobergrenze, die die Kaltmiete und die kalten
Betriebskosten beinhaltet, im vorliegenden Fall 363,00 € beträgt.
Damit hat der Beklagte die tatsächlichen KdU in Höhe von 287,46 €zu
übernehmen, weil diese niedriger sind als die Mietzinsobergrenze
(363,00 €/Monat).
Die tatsächlichen Heizkosten belaufen sich auf 70,50 €/Monat und werden
nach den Angaben des Beklagten in der mündlichen Verhandlung von diesem
in voller Höhe übernommen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 des Sozialgerichtsgesetz (SGG).
Die Kammer hat die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache bejaht,
weil bisher noch nicht geklärt ist, ob der Mietspiegel 2012 bzw. die
Richtlinie KdU vom 18.09.2012 der Stadl Leipzig als schlüssiges Konzept
zu Grunde gelegt werden kann.
Rechtsmittelbelehrung
Dieses Urteil kann mit der Berufung angefochten werden.
Die Berufung ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils
beim Sächsischen Landessozialgericht, Parkstraße 28. 09120 Chemnitz,
schriftlich, mündlich zur Niederschrift des Urkundsbeamten der
Geschäftsstelle oder in elektronischer Form einzulegen.
Die
Berufungsfrist ist auch gewahrt, wenn die Berufung innerhalb der Frist
beim Sozialgericht Leipzig, Berliner Straße 11. 04105 Leipzig
schriftlich, mündlich zur Niederschrift des Urkundsbeamten der
Geschäftsstelle oder in elektronischer Form eingelegt wird.
Die
elektronische Form wird durch eine qualifiziert signierte Datei
gewahrt, die nach den Maßgaben der Verordnung des Sächsischen
Staatsministeriums der Justiz und für Europa über den elektronischen
Rechtsverkehr in Sachsen (SächsERVerkVO) vom 6. Juli 2010 (SächsGVBI. S.
190) in den elektronischen Gerichtsbriefkasten zu übermitteln ist.
Die Einlegung der Berufung durch einfache E-Mail wahrt daher die Form
nicht. Es wird darauf hingewiesen, dass das Rechtsmittel innerhalb der
Frist in der vorgeschriebenen Form einzulegen ist.
Die
Berufungsschrift soll das angefochtene Urteil bezeichnen, einen
bestimmten Antrag enthalten und die zur Begründung der Berufung
dienenden Tatsachen und Beweismittel angeben.
Der Vorsitzende der 9. Kammer
........
Richter am SG
Für den Gleichlaut der Ausfertigung mit der Urschrift:
Sozialgericht Leipzig
Leipzig, den 11.03.2014)
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