Montag, 1. September 2014

Leipzig: Hartz IV Miet-Begrenzung unzulässig

Aktuell: Urteil 2014 

Mietobergrenze von 4, 48 € für Hartz IV Empfänger in Leipzig, darf nicht angewendet werden
Schweigen anstelle von Aufklärung

Obwohl dieses Urteil bereits vor einigen Wochen / Monaten gefällt wurde, wenden die Jobcenter in Leipzig noch immer die rechtswidrigen Bestimmungen an! Betroffene sollten sofort per Widerspruch und Eilrechtschutzverfahren gegen falsche Bescheide vorgehen. 

Denn mit diesem Urteil muss eine sehr viel höhere Kaltmiete übernommen werden!

Urteil des SG Leipzig zum Mietspiegel in Leipzig

SOZIALGERICHT LEIPZIG

IM NAMEN DES VOLKES

URTEIL

In dem Rechtsstreit

............................. ........................ ..... ... .......... Leipzig
- Kläger -

gegen

Jobcenter Leipzig, vertreten durch den Geschäftsführer, Erich-Weinert-Straße 20, 04105
Leipzig

Beklagter ¦

hat die 9. Kammer des Sozialgerichts Leipzig auf die mündliche Verhandlung vom

13. Februar 2014 in Leipzig durch den Richter am Sozialgericht ........ und die ehrenamtlichen
Richter Herr Prof. ............ und Frau ....... für Recht erkannt:
I. Der Bescheid vom 21.11.2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom
19.12.2013 wird abgeändert und der Beklagte zu verurteilt, ihm Kosten der Unterkunft und Heizung für die Zeit vom 01.01.2014 bis zum 30.06.2014 in Höhe von monatlich 357,96 € unter Anrechnung der bereits geleisteten Zahlungen zu zahlen.
II. Die Berufung wird zugelassen.
III. Der Beklagte hat dem Kläger dessen außergerichtliche Kosten zu erstatten.

-2-S 9 AS 261/14-

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten steht die Höhe der Kosten der Unterkunft (KdU) und Heizung in der Zeit vom 01.01.2014 bis zum 01.06.2014 im Streit.

Der Kläger ist alleinstehend. Er bewohnt eine 45,09 m2große Wohnung, für die er im streitgegenständlichen Zeitraum eine Kaltmiete in Höhe von monatlich 207,96 € sowie monatliche Betriebs- und Heizkosten in Höhe von 150,00 €, insgesamt somit 357,96 €, zu zahlen hatte. Die Wohnung wurde den Angaben des Klägers zufolge mit Erdgas beheizt.
Sie befindet sich in einem Gebäude mit einer Gesamtgebäudefläche von ca. 300 m2.

Der Kläger steht schon seit längerem im Leistungsbezug des Beklagten.

Mit Schreiben vom 19.11.2012 informierte der Beklagte den Kläger darüber, dass seine Bedarfe für Unterkunft und Heizung das Maß der anerkennungsfähigen Leistungen nach den Bestimmungen der Stadt Leipzig überschreite. Die angemessene Bruttokaltmiete betrag für eine Person-Bedarfsgemeinschaft 261,45 €/Monat. Die derzeitigen Bedarfe für Unterkunft und Heizung könnten längstens für die Dauer von 6 Monaten übernommen werden. Im Falle des Klägers bis zum 31.05.2013.

Mit Bewilligungsbescheid vom 21.11.2013 gewährte der Beklagte dem Kläger Arbeitslosengeld (Alg) II für die Zeit vom 01.01.2014 bis zum 01.06.2014 in Höhe von monatlich 713.95 €. Darin wurden die KdU und Heizung in Höhe von 331.95 € berücksichtigt.
Hiergegen erhob der Kläger Widerspruch, weil vom Beklagten die tatsächlichen KdU und Heizung zu übernehmen sein.

Mit Widerspruchsbescheid vom 19.12.2013 wies der Beklagte den Widerspruch zurück. Darin wurde ausgeführt, die tatsächlichen KdU und Heizung beliefen sich auf monatlich 357.96 €, wobei Heizkosten in Höhe von monatlich 70.50 € und Betriebskosten in Höhe von monatlich 79,50 € zu Grunde gelegt würden.

Bei der Verwaltungsrichtlinie KdU der Stadt Leipzig, die am 01.10.2012 in Kraft getreten sei, handele es sich um ein „schlüssiges Konzept". Danach sei ein m2-Preis für die Grundmiete in Höhe von 4,48 €/m2 und 1,33 €/m2 für die Betriebskosten sowie 1,20 €/m2für die Heizkosten angemessen.

Die abstrakt angemessene Wohnungsgröße belaufe sich nach der Verwaltungsvorschrift zur Regelung von Wohnflächenhöchstgrenzen des Freistaates Sachsen vom 07.06.2010 bei einem Ein-Personenhaushalt auf 45 m2. Daraus errechne sich eine Bruttokaltmiete in Höhe von monatlich 261,45 € (4.48 € zuzüglich 1.33 € = 5,81 € x 45 m2) zuzüglich der anerkannten Heizkosten in Höhe von monatlich 70,50 €, insgesamt 331,95 €.

Damit würden die tatsächlichen KdU und Heizung in Höhe von 357,96 €/Monat die angemessenen KdU und Heizkosten um 26,01 €/Monat übersteigen.

Hiergegen hat der Kläger am 07.01.2014 Klage erhoben. Der Kläger vertritt die Auffassung, dass der Beklagte seine tatsächlichen KdU und Heizung zu übernehmen habe.

Der Kläger beantragt,

den Bescheid vom 21.11.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom

19.12.2013 abzuändern und den Beklagten zu verurteilen, für die Zeit vom 01.01.2014 bis zum 30.06.2014 Kosten der Unterkunft und Heizung in Höhe von monatlich 357,96 € unter Anrechnung der bereits erfolgten Zahlungen zu zahlen.

Der Beklagte beantragt,

1. die Klage abzuweisen.
2. Die Berufung zuzulassen.
Er vertritt die Auffassung, dass es sich bei der Verwaltungsrichtlinie „Kosten der Unterkunft“, in Kraft seit 01.12.2012, um ein „schlüssiges Konzept“ handle.

Entscheidungsgründe:

Die Klage zulässige ist begründet.

Der Kläger hat im streitgegenständlichen Zeitraum, nämlich in der Zeit vom 01.01.2014 bis zum 30.06.2014, Anspruch auf Übernahme der KdU in Höhe von monatlich 287,96 € (Kaltmiete 207,96 € und Betriebskosten 79,50 €) zuzüglich eines monatlichen Heizkostenvorschusses iHv 70.50 €, insgesamt somit 357,96 €. Allerdings muss er sich die bereits gewährten KdU und Heizkosten hierauf anrechnen lassen.

Streitig sind im vorliegenden Fall allein Leistungen für Unterkunft und Heizung nach § 22 SGB II. Der Kläger hat sein Klagebegehren von vornherein zulässigerweise auf diese Leistungen beschränkt (BSG, Urteil vom 01.06.2010- B 4 AS 78/09 R). Streitig sind zudem nur Leistungen für den Zeitraum vom 01.01.2014 bis zum 30.06.2014.

Als grundsicherungsrechtlicher Bedarf für KdU und Heizung sind nach § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II grundsätzlich die tatsächlichen Aufwendungen des Hilfebedürftigen zu gewähren.

Die Vorschrift begrenzt die Übernahme der tatsächlichen Aufwendungen jedoch zugleich auf die nach dem SGB II angemessenen Kosten.

Die Angemessenheit der tatsächlichen Aufwendungen für eine Wohnung ist nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) in mehreren Schritten zu prüfen:

Zunächst ist die Größe der Wohnung des Hilfebedürftigen festzustellen und zu überprüfen, ob diese angemessen ist. In einem zweiten Schritt ist der maßgebliche räumliche Vergleichsmaßstab festzulegen. Schließlich ist in einem dritten Schritt zu ermitteln, welcher Mietpreis für eine abstrakt als angemessen eingestufte Wohnung auf dem für den Hilfebedürftigen maßgeblichen Wohnungsmarkt aufzuwenden ist (angemessene Mietobergrenze)

BSG, Urteil vom 17.12.2009 - B 4 AS 27/09 R. RdNr 15 f und Urteil vom 22.09.2009 - B 4 AS 70/08 R. RdNr 17

Eine solche Prüfung ist vorliegend nicht möglich, weil es an einem sogenannten „schlüssigen Konzept“ fehlt und daher die angemessene Mietobergrenze nicht bestimmt werden kann.

Nach der Rechtsprechung des BSG ist der angemessene Quadratmeterpreis einer Wohnung mittels eines schlüssigen Konzepts für einen homogenen Lebensraum zu ermitteln. Der Träger der Grundsicherung hat deshalb -soweit erforderlich- ein solches auf Anforderung vorzulegen (BSG, Urteil vom 17.12.2009 - B 4 AS 27/09 R).

Ein schlüssiges Konzept liegt nach der soeben genannten Entscheidung des BSG (Rdnr. 26) dann vor. wenn der Ersteller, also der Grundsicherungsträger, planmäßig vorgegangen ist im Sinne der systematischen Ermittlung und Bewertung genereller, wenngleich orts- und zeitbedingter Tatsachen im maßgeblichen Vergleichsraum sowie für sämtliche Anwendungsfälle
und nicht nur punktuell im Einzelfall.

Dazu gehört::

Die Datenerhebung darf ausschließlich in dem genau eingegrenzten und muss über den gesamten Vergleichsraum erfolgen (keine Ghettobildung),

- es bedarf einer nachvollziehbaren Definition des Gegenstandes der Beobachtung, z.B. welche Art von Wohnungen
- Differenzierung nach Standard der Wohnungen.
Brutto- und Nettomiete (Vergleichbarkeit). Differenzierung nach Wohnungsgröße.
- Angaben über den Beobachtungszeitraum,
- Festlegung der Art und Weise der Datenerhebung (Erkenntnisquellen. z.B. Mietspiegel),
- Repräsentativität des Umfangs der eingezogenen Daten,
- Validität der Datenerhebung,
- Einhaltung anerkannter mathematisch-statistischer Grundsätze der Datenauswertung
und
- Angaben über die gezogenen Schlüsse (z.B. Spannoberwert oder Kappungsgrenze).

Sofern ein Mietspiegel nach § 558 c des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) diesen Anforderungen gerecht wird, ist er als Grundlage eines schlüssigen Konzeptes zur Ermittlung der angemessenen Referenzmiete im Vergleichsraum geeignet: BSG, Urteil vom 17.12.2009 B 4 AS 27/09 R, Leitsatz Nr. 1

Der Leipziger Mietspiegel 2012, der hier anzuwenden wäre, erfüllt die Voraussetzungen, die an ein schlüssiges Konzept gestellt werden, nicht.

Es fehlen Angaben zum Beobachtungszeitraum und Erkenntnisquellen der Datenerhebung.
Wie die Auswertung des Datenmaterials erfolgte, wird zudem nicht mitgeteilt. Auch bleibt offen, ob anerkannte mathematisch-statistische Grundsätze der Datenauswertung berücksichtigt worden sind.

>>>Damit genügt der Mietspiegel nicht den Anforderungen der Statistik.<<<


Auch die von der Stadt Leipzig erlassene Richtlinie KdU vom 18.09.2012, in Kraft getreten am 01.10.2012. kann nicht als schlüssiges Konzept herangezogen werden. Bei der Datenerhebung wurde der Ist-Wert der Grundmiete aus dem gewichteten Mittelwert (Median) der Kosten aller Hilfeempfängerhaushalte gebildet.
Um aber einen realistischen Ist-Wert der Grundmiete zu bekommen, ist es erforderlich, das die Bildung eines Median aus den Kosten aller Haushalte im unteren Marktsegment erfolgte. Dies ist aber nicht geschehen.

Der Beklagte vertritt die Auffassung, dass es sich bei der Richtlinie KdU vom 18.09.2012 um ein "schlüssiges Konzept" handelt, obwohl sie nicht den Anforderungen an den vom BSG aufgestellten Voraussetzungen genügt.
Da die Mietkosten aller Haushalte von der Kammer nicht ermittelt werden können, kann ein "schlüssiges Konzept" auf der Grundlage der vorhandenen Erkenntnisse und Daten nicht entwickelt werden.

Bei Fehlen eines schlüssigen Konzeptes kann es für die Bestimmung des angemessenen m2-Preises im Endergebnis dazu fuhren, dass der tatsächliche m2-Preis als angemessen zu Grunde zu legen ist. Allerdings sind die KdU in einem solchen Fall nicht völlig unbegrenzt zu übernehmen, sondern nur bis zur Höhe der durch einen Zuschlag maßvoll erhöhten Tabellenwerte
nach § 12 Wohngeldgesetz (WoGG) (BSG. Urteil vom 18.02.2010 - B 14 AS 73/08 R. RdNr. 29).

Durch sie soll verhindert werden, dass extrem hohe und damit nicht
nur nach Auffassung des Grundsicherungsträgers, sondern per se unangemessene Mieten durch den Steuerzahler zu finanzieren sind.

Die Heranziehung der Tabellenwerte ersetzt mithin die für den Vergleichsraum und den konkreten Zeitraum festzustellende Referenzmiete nicht. Sie dient lediglich dazu, die zu übernehmenden tatsächlichen Aufwendungen zu begrenzen. Die Grenze findet sich insoweit in den Tabellenwerten zu § 12 WoGG. Da insoweit eine abstrakte, vom Einzelfall und den konkreten Umständen im Vergleichsraum unabhängige Begrenzung vorgenommen wird, ist auf den jeweiligen Höchstbetrag der Tabelle, also die rechte Spalte, zurückzugreifen.
Ferner wird vom BSG ein „Sicherheitszuschlag" iHv 10 %zum jeweiligen Tabellenwert im Interesse des Schutzes des elementaren Bedürfnisses des Hilfebedürftigen auf Sicherung des Wohnraumes als erforderlich angesehen
(BSG, Urteil vom 12.12.2013 - B 4 AS 87/12 R, RdNr 27).

Die von der Beklagten zu tragende Mietzinsobergrenze für die Kaltmiete einschließlich der kalten Betriebskosten errechnet somit wie folgt:

Nach § 12 WoGG richtet sich der jeweilige Höchstbetrag der Tabelle nach den Mietstufen. Die Mietstufen wurden vom Bundesministerium für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen festgelegt.

Danach fällt Leipzig in die Mietstufe 3. Der Tabellenwert der rechten Spalte und unter Berücksichtigung der Mietstufe 3 beträgt demnach 330,00 €. Zu diesen 330,00 € ist ein 10 %iger „Sicherheitszuschlag“ hinzuzählen, so dass die Mietzinsobergrenze, die die Kaltmiete und die kalten Betriebskosten beinhaltet, im vorliegenden Fall 363,00 € beträgt.

Damit hat der Beklagte die tatsächlichen KdU in Höhe von 287,46 €zu übernehmen, weil diese niedriger sind als die Mietzinsobergrenze
(363,00 €/Monat).

Die tatsächlichen Heizkosten belaufen sich auf 70,50 €/Monat und werden nach den Angaben des Beklagten in der mündlichen Verhandlung von diesem in voller Höhe übernommen.


Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 des Sozialgerichtsgesetz (SGG).

Die Kammer hat die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache bejaht, weil bisher noch nicht geklärt ist, ob der Mietspiegel 2012 bzw. die Richtlinie KdU vom 18.09.2012 der Stadl Leipzig als schlüssiges Konzept zu Grunde gelegt werden kann.

Rechtsmittelbelehrung

Dieses Urteil kann mit der Berufung angefochten werden.

Die Berufung ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils beim Sächsischen Landessozialgericht, Parkstraße 28. 09120 Chemnitz, schriftlich, mündlich zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle oder in elektronischer Form einzulegen.

Die Berufungsfrist ist auch gewahrt, wenn die Berufung innerhalb der Frist beim Sozialgericht Leipzig, Berliner Straße 11. 04105 Leipzig schriftlich, mündlich zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle oder in elektronischer Form eingelegt wird.

Die elektronische Form wird durch eine qualifiziert signierte Datei gewahrt, die nach den Maßgaben der Verordnung des Sächsischen Staatsministeriums der Justiz und für Europa über den elektronischen Rechtsverkehr in Sachsen (SächsERVerkVO) vom 6. Juli 2010 (SächsGVBI. S. 190) in den elektronischen Gerichtsbriefkasten zu übermitteln ist.

Die Einlegung der Berufung durch einfache E-Mail wahrt daher die Form nicht. Es wird darauf hingewiesen, dass das Rechtsmittel innerhalb der Frist in der vorgeschriebenen Form einzulegen ist.

Die Berufungsschrift soll das angefochtene Urteil bezeichnen, einen bestimmten Antrag enthalten und die zur Begründung der Berufung dienenden Tatsachen und Beweismittel angeben.

Der Vorsitzende der 9. Kammer

........
Richter am SG

Für den Gleichlaut der Ausfertigung mit der Urschrift:
Sozialgericht Leipzig
Leipzig, den 11.03.2014)

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