Samstag, 22. November 2014

FHP: Freie Hartz IV Presse

Hartz IV System mit erschreckenden Parallelen zum Ende der Weimacher Republik und dem Beginn der Nazi-Zeit

Ein Hauptprotagonist staatlicher Reformen in der Weimarer Republik hieß - man höre und staune - Gustav Hartz.
Zu seiner Person: Gustav Hartz (* 15. August 1884 in Cönnern; † 1. Februar 1950 in Berlin-Reinickendorf) war ein wirtschaftsliberal-reaktionärer deutscher Politiker (DNVP).Mehr dazu hier:http://www.bdwi.de/forum/archiv/archiv/761377.html

Dieser deutschnationale Reichstagsabgeordnete und Buchautor entwickelte schon Ende der 1920er Jahre ganz ähnliche Pläne zur Umstrukturierung des Sozialstaates wie Peter Hartz nach der Jahrtausendwende.

"Es gibt vermehrt Armut trotz Arbeit"
Christoph Butterwegge über zehn Jahre Hartz IV

Am 1. Januar 2015 wird die Hartz-Reform zehn Jahre alt. Grund genug für Christoph Butterwegge in seinem Buch Hartz IV und die Folgen kritisch Bilanz zu ziehen: Mit Hartz IV wurden die Arbeitslosen in der Bundesrepublik seiner Ansicht nach sozial und rechtlich deklassiert und einer gnadenlosen Armutsspirale ausgesetzt.
Der Politikwissenschaftler entdeckt in dem Einsetzen der Arbeitsmarktreform sogar Parallelen zum Ende der Weimarer Republik.

>Herr Butterwegge, was haben die Arbeitsmarktreformen der Agenda 2010 wirklich an Arbeitsstellen gebracht?

Christoph Butterwegge: Ich gehe nicht davon aus, dass die Hartz-Gesetze den Rückgang der offiziell registrierten Arbeitslosigkeit bewirkt haben. Falls dies aber doch der Fall sein sollte, war der Preis, den unsere Gesellschaft und besonders deren unterprivilegierte Mitglieder dafür zahlen mussten, zu hoch. So hat die Zahl der atypischen beziehungsweise prekären Beschäftigungsverhältnisse seit der Jahrtausendwende stark zugenommen, und der Niedriglohnsektor ist hierzulande wie kaum irgendwo sonst ausgeufert. Mittlerweile arbeitet fast jeder Vierte im Niedriglohnbereich, darunter keineswegs nur Geringqualifizierte. Immerhin haben 11 Prozent von ihnen einen Hochschulabschluss.

>Wie haben sich seitdem die Einkommensverhältnisse geändert?

Christoph Butterwegge: Es gibt vermehrt Armut trotz Arbeit. Gleichzeitig hat die Lohnspreizung zugenommen. Sowohl beim Einkommen wie auch beim Vermögen spaltet sich die Gesellschaft deutlicher in Arm und Reich. Während die reichsten 10 Prozent der Bevölkerung laut Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung über 53 Prozent des Nettogesamtvermögens verfügen, muss sich die ärmere Hälfte mit gerade mal 1 Prozent des Nettogesamtvermögens begnügen. Nach einer neueren Untersuchung des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) haben 20,2 Prozent der Menschen keinerlei finanzielle Rücklagen und 7,4 Prozent sogar mehr Schulden als Vermögen.

Über 22 Millionen Menschen, die in der Bundesrepublik leben, haben nichts auf der hohen Kante, sind also bestenfalls eine Kündigung oder eine schwere Krankheit von der Armut entfernt. Nicht viel besser steht es um die Gerechtigkeit hinsichtlich der Einkommensverteilung in unserer Gesellschaft.
Individuelle Rechtsposition geschwächt

>Wie hat sich die rechtliche Situation der Arbeitslosen mit den Hartz-Reformen verändert?

Waren die Arbeitslosen bis zum 1. Januar 2005 eher Sozialstaatsbürger, die als frühere Beitragszahler der Sozialversicherung auch über einen längeren Zeitraum hinweg alimentiert wurden, sollen die Hartz-IV-Betroffenen seither "aktiviert" werden und müssen praktisch jede Stelle annehmen, auch wenn sie weder ihrer beruflichen Qualifikation entspricht noch tariflich oder ortsüblich bezahlt wird. Arbeitslose werden jetzt zwar hochtrabend und irreführenderweise als "Kunden" bezeichnet, in den Jobcentern aber eher wie Bittsteller und Bettler behandelt. Ihre individuelle Rechtsposition wurde durch die Hartz-Gesetze eher geschwächt, wie auch der gesellschaftliche Druck gewachsen ist, dem sie ausgesetzt sind.

>Wie konnte eine Arbeitsmarktreform, welche Rot-Grün in der Opposition niemals zugestimmt hätte, unter Schröder und Fischer initiiert und umgesetzt werden?

Christoph Butterwegge: Das ist sicher vielen ein Rätsel und wahrscheinlich nur mit den Bewegungsgesetzen einer parlamentarischen Demokratie erklärbar, in der das Wechselspiel von Regierungs- und Oppositionstätigkeit durch die Standortlogik des bestehenden Wirtschaftssystems, ökonomische Herrschaftsverhältnisse und mächtige Lobbygruppen flankiert wird. Was man als parlamentarische Minderheit noch energisch bekämpft hat, wie die SPD unter der Kohl-Regierung die von CDU/CSU und FDP über viele Jahre hinweg betriebene Abschaffung der Arbeitslosenhilfe als einer den Lebensstandard von Langzeiterwerbslosen sichernden Lohnersatzleistung, wird auf diese Weise offenbar zu einem "Sachzwang", dem man sich nicht entziehen zu können glaubt.

>Und können Sie erklären, warum sich die Gewerkschaften mit der Reform so über den Tisch haben ziehen lassen?

Christoph Butterwegge: Auch das ist schwer verständlich. Aber ein Grund dürfte der neoliberale Zeitgeist sein, welcher die Öffentlichkeit damals beseelte. Obwohl der DGB und seine Einzelgewerkschaften stark unterrepräsentiert, Betriebsräte und Initiativen der Erwerbslosen als unmittelbar Betroffene sogar überhaupt nicht vertreten waren, ließ man sich einbinden.

Peter Hartz war mit seinem Charisma und der Fähigkeit, unterschiedliche Positionen zu integrieren, der ideale Moderator der von ihm geleiteten Kommission für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt. Stand mit der IG Metall die einflussreichste Industriegewerkschaft hinter ihm und gehörte einer ihrer Bezirksleiter der Regierungskommission an, so wurde mit dem Verdi-Bundesvorstandsmitglied Isolde Kunkel-Weber auch die zweitgrößte Einzelgewerkschaft des DGB geschickt in die Kommissionsarbeit eingebunden.

Letztlich war die Hartz-Kommission mitsamt ihren 13 "Innovationsmodulen" nur ein Vehikel für die rot-grünen Reformer, um die tiefgreifendste Veränderung des deutschen Arbeitsmarkt- und Sozialsystems seit Hitlers Tod durchsetzen zu können. Dafür spricht auch, dass fast sämtliche Reformvorschläge des Kommissionsberichts inzwischen ausgedient haben.

>Mit Hartz IV gab es ein Zuständigkeits-Chaos in den Behörden. Viele Regelungen sind unklar formuliert und können zu Lasten der Betroffenen ausgelegt werden. War das Absicht oder wurde das Gesetz "nur" mit heißer Nadel gestrickt?

Christoph Butterwegge: Ich vertrete die provokante These, dass die Überforderung der Jobcenter beim Umsetzen von Hartz IV Teil einer gezielten Strategie zur Beschneidung individueller Rechte und zur Entwicklung eines durch Zielvereinbarungen und Kontraktmanagement gesteuerten Sozialstaatsmodells war. 

Was die Jobcenter als bloße Kommunikationsprobleme, Übergangsschwierigkeiten oder "Kinderkrankheiten" des Reformwerks abtaten, waren größtenteils systemimmanente Mängel, unter denen die von Hartz IV Betroffenen dauerhaft litten.

Als kritischer Beobachter wusste man überhaupt nicht, wer unter einem stärkeren Anpassungszwang und einem höheren Konformitätsdruck stand: Grundsicherungsempfänger, denen die Transferleistung mittels Sanktionen gekürzt beziehungsweise im Extremfall gestrichen und damit die materielle Existenzgrundlage entzogen werden kann, oder Jobcenter-Mitarbeiter, Teamleiter und Standortleiter, die permanent evaluiert und (da teilweise auch nur befristet eingestellt) mit der unerfreulichen Aussicht, sich bald "auf der anderen Seite des Tisches" wiederzufinden, entlassen werden konnten.

Ein Hauptprotagonist staatlicher Reformen in der Weimarer Republik hieß Gustav Hartz

>Sie schreiben in Ihrem Buch, dass es am Ende der Weimarer Republik schon einmal Sozialreformen gab, die ähnlich drastisch wie die nach Peter Hartz benannten waren, welche den Nazis den Weg zu ihrem Erfolg geebnet haben. Können Sie uns mehr darüber erzählen?

Christoph Butterwegge: Das war mit das Interessanteste, worauf ich bei den Recherchen für mein Buch gestoßen bin: Ein Hauptprotagonist staatlicher Reformen in der Weimarer Republik hieß - man höre und staune - Gustav Hartz. Dieser deutschnationale Reichstagsabgeordnete und Buchautor entwickelte schon Ende der 1920er Jahre ganz ähnliche Pläne zur Umstrukturierung des Sozialstaates wie Peter Hartz nach der Jahrtausendwende.

Der Namensvetter des früheren VW-Managers sah überall "Faulenzer und Drückeberger" am Werk, wollte "den Mißbrauch der ungerechten und unnötigen Inanspruchnahme" von Sozialleistungen unterbinden und "asoziale Elemente" (in Anführungszeichen) fernhalten. Gustav Hartz nannte die Arbeitslosen bereits "Kunden" (ebenfalls noch in Anführungszeichen) und schlug vor, die "staatliche Zwangsversicherung" zu privatisieren und durch ein System der privaten Vorsorge zu ersetzen, das auf individuelles Zwangssparen hinauslief.

>Halten Sie es für möglich, dass sich Rot-Grün seinerzeit tatsächlich von Gustav Hartz inspirieren hat lassen?

Christoph Butterwegge: Das wohl nicht gerade. Aber derart frappierende Parallelen zur Weimarer Republik, die bis zur kurios wirkenden Namensgleichheit einzelner Reformer reichen, sollten uns heute veranlassen, in den Hartz-Gesetzen kein neuartiges, modernes und innovatives Reformkonzept zu sehen.

Vielmehr handelt es sich (wie bei den Maßnahmen, die zur Demontage des Weimarer Sozialstaates führten und den Nazis seinerzeit das Ende der Demokratie zumindest erleichterten) um einen jederzeit wiederholbaren Frontalangriff auf die Rechte von Arbeitnehmern und Erwerbslosen.

>Gustav Hartz ist bei seinen Überlegungen zur "eigenverantwortlichen Selbsthilfe" der Arbeitslosen noch weiter gegangen als später Rot-Grün. Befürchten Sie, dass einige seiner Vorschläge bei der politischen Kaste noch einmal Gehör finden werden?

Christoph Butterwegge: Ich halte es nicht für ausgeschlossen, denn eine derart tiefgreifende Krisensituation wie die Weltwirtschaftskrise 1929 bis 1932 hat die Bundesrepublik noch nicht erlebt. Ob der Sozialstaat und die Demokratie unter Extrembedingungen widerstandsfähiger wären, weiß niemand. Deshalb müssen die Profiteure solcher Reformkonzepte, also Unternehmer, Großaktionäre und Wirtschaftsverbände, daran gehindert werden, weitere Leistungskürzungen und Strukturveränderungen des Sozialsystems über die etablierten Parteien oder politisch weiter rechts stehende Kräfte zu realisieren.

Schon die letzte Reformwelle hat unser Land grundlegend verändert und daraus eine "Hartz-IV-Gesellschaft" gemacht, in der Millionen Menschen berechtigte Angst haben, nach einer relativ kurzen Übergangszeit zu Beziehern von Arbeitslosengeld II zu werden, was letztlich Armut und soziale Ausgrenzung für die ganze Familie bedeutet.
(Quelle: heise.de von und mit Reinhard Jellen)

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