Der Suppenküchenstaat wächst und
Medienpropaganda wird gezielt zur Manipulation eingesetzt!
Der
Armutsforscher Christoph Butterwegge erzählt von der Umwandlung des
Sozialstaats. Er malt ein beunruhigendes Bild unserer gespaltenen
Gesellschaft.
Zur Person:
Christoph Butterwegge
Professor
für Politikwissenschaft am Institut für vergleichende Bildungsforschung
und Sozialwissenschaften, Universität Köln. Nach dem Abitur 1970 in
Dortmund Studium der Sozialwissenschaft, Rechtswissenschaft, Psychologie
und Philosophie an der Ruhr-Universität Bochum. 1975 Dipl. rer. soc.
1978 M.A. (Philosophie). 1980 Promotion z. Dr. rer. pol. a. d.
Universität Bremen, 1990 Habilitation im Fach Politikwissenschaften
ebenda. Nach versch. Lehraufträgen 1991–1994 wissenschaftlicher
Mitarbeiter der Bremischen Stiftung für Rüstungskonversion und
Friedensforschung. 1994–1997 Lehre am Fachbereich für
Politikwissenschaft und Sozialpolitik an der FH Potsdam. Seit 1998
Professur an der Uni Köln.
Er wurde 1951 in Albersloh (Krs.
Münster/Westfalen) als uneheliches Kind geboren, seine Mutter war
anfangs Sparkassenangestellte und bildete sich dann fort zur beamteten
Gewerbe-Amtsrätin. Herr Butterwegge ist Verfasser zahlreicher Schriften
und Beiträge zu seinem Schwerpunktthema Armutsforschung. Eben erschien
in 5. aktualisierter Auflage sein Buch „Krise und Zukunft des
Sozialstaats“.
>>Er kristisiert Hartz IV vehement und verurteilt die Macht der Lobbyisten<<
„Wir
haben einen funktionierenden Niedriglohnsektor aufgebaut, und wir haben
bei der Unterstützungszahlung die Anreize dafür, Arbeit aufzunehmen,
sehr stark in den Vordergrund gestellt.“ (Bundeskanzler G. Schröder vor
dem World Economic Forum 2005 in Davos über die Hartz-IV-Gesetze.)
„Ich
fange einfach mal an“, sagt Herr Butterwegge und wirkt total entspannt:
„Mit der Agenda 2010 leitete die rot-grüne Koalition unter Kanzler
Gerhard Schröder einen radikalen Kurswechsel ein, der die sogenannte
Lissabon-Strategie im nationalen Rahmen umsetzte. Auf dem dortigen
EU-Sondergipfel im März 2000 hatten die Staats- und Regierungschefs der
Mitgliedstaaten als ’strategisches Ziel‘ für das Jahrzehnt beschlossen
und verlautbart, ’die Union zum wettbewerbsfähigsten und dynamischsten
wissensbasierten Wirtschaftsraum der Welt zu machen – einem
Wirtschaftsraum, der fähig ist, ein dauerhaftes Wirtschaftswachstum mit
mehr und besseren Arbeitsplätzen und einem größeren sozialen
Zusammenhalt zu erzielen.‘
Von Beginn an wurde gelogen und
beschönigt, Hartz IV bzw. Arbeitslosengeld II, war nicht, wie das der
damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder so irreführend formulierte,
’eine Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe‘, da wurde nichts
zusammengelegt, die Arbeitslosenhilfe wurde schlicht abgeschafft!
Spätestens seit den sog. Hartz-Gesetzen für ’moderne Dienstleistungen am
Arbeitsmarkt‘ ist feststellbar, dass die etablierten Parteien die
Interessen der Langzeitarbeitslosen, der Armen, der Geringverdiener
immer weniger vertreten, sonst hätten sie nicht solche Gesetze gemacht,
wie Zeitarbeit und Leiharbeit zu deregulieren, Mini- und Midi-Jobs
einzuführen und damit einen breiten Niedriglohnsektor zu schaffen.
Die
Prekarisierung der Lohnarbeit ist ja das Haupteinfallstor für Armut bei
uns heute in der Bundesrepublik. Und aus dieser Erwerbsarmut wird
automatisch Altersarmut. Altersarmut ist also das Ergebnis der
Deregulierung des Arbeitsmarkts, der Demontage des Sozialstaats im
Allgemeinen und der Demontage der gesetzlichen Rentenversicherung durch
Teilprivatisierung der Altersvorsorge im Besonderen.
Seit der
Einführung von Hartz IV im Januar 2005 hat sich nicht nur die soziale
Ungleichheit verschärft, es wurde auch das Leistungsniveau für den
Bürger stark abgesenkt. Die ’Reform‘ des Sozialstaats zieht zwangsläufig
eine Pauperisierung nach sich. Zunehmend mehr Menschen werden von
Verarmungsprozessen erfasst. Sie sind die Hauptleidtragenden dieser
Politik, und viele wenden sich entsetzt von den etablierten Parteien
oder überhaupt von der Politik ab.
Die Verarmenden und Armen
ziehen sich immer mehr zurück, schon deshalb, weil die Teilhabe am
öffentlichen gesellschaftlichen Leben ja auch Geld kostet. Sie steigen
auch nicht auf die Barrikaden, weil sie ganz andere Sorgen haben, etwa
die, wie sie am 20. des Monats noch was Warmes auf den Tisch kriegen.
Die soziale Spaltung vertieft sich zusehends, und wir kommen in einen
Teufelskreis, der uns, wenn wir nicht aufpassen, auch eine
Brutalisierung unserer Gesellschaft bringen wird, mit mehr Drogensucht,
Alkoholismus, Kriminalität auf den Straßen und vielem anderen mehr.
Die Armen gehen nicht mehr wählen
Dass
die Armen sich als Fremde im eigenen Land fühlen, wurde bei der
jüngsten Bundestagswahl besonders in den westdeutschen Großstädten
augenfällig, es zeigte sich, dass sie vielfach gar nicht mehr wählen
gehen. Hier in Köln gab es in Hochhaussiedlungen Wahlbeteiligungen von
40 Prozent, in den Villenvierteln lag sie bei fast 90 Prozent. Das
zeigt, wir haben nicht nur eine Krise des Sozialstaats, der Wirtschaft,
des Finanzmarkts, wir haben auch eine Krise des Repräsentativsystems der
repräsentativen Demokratie!
Die sozial Benachteiligten sind
derart desillusioniert, dass sie am politischen Willensbildungs- und
Entscheidungsprozess gar nicht mehr teilnehmen. Eine Demokratie sieht
anders aus, Demokratie bedeutet für mich, dass alle Menschen, die in
einem Land leben, in der Lage sind, über dessen Schicksal – und damit
über ihr eigenes – politisch mitentscheiden zu können. Das können sie
aber eher nicht, wenn sie hoffnungslos sind, wenn ihre soziale
Absicherung gefährdet ist bzw. am seidenen Faden hängt, weil sie Angst
davor haben, am nächsten Monatsende ihre Miete nicht mehr zahlen zu
können oder dass ihnen Strom und Gas abgestellt wird, oder weil sie
’Transferleistungen‘ beziehen und ständig entwürdigenden Schikanen
unterworfen sind.
Woran es für die Betroffenen spürbar fehlt, ist
Gerechtigkeit. Es gibt ja die gefühlte und gemessene Gerechtigkeit …
also das möchte ich mal etwas genauer ausführen: Mit dem Begriff
Gerechtigkeit wird zunehmend Schindluder getrieben. An die traditionelle
Vorstellung von Gerechtigkeit wird kaum noch angeknüpft.
Im
politischen Raum sind das immer die Bedarfsgerechtigkeit und die
Verteilungsgerechtigkeit gewesen. Bedarfsgerechtigkeit bedeutete,
demjenigen, der durch Behinderung, Arbeitslosigkeit und ähnliche
Zwangslagen Hilfe braucht, diese auch ausreichend zur Verfügung zu
stellen. Aufgabe des Sozialstaats war es, die Armut zu bekämpfen und die
Bürger vor bestimmten Lebensstandard… nein Standardlebensrisiken, zu
schützen, Krankheit Unfall usw. – was bei uns durch die
Sozialversicherungen geregelt ist.
Und daneben gab’s die
Vorstellung von Verteilungsgerechtigkeit, davon, dass die Aufgabe des
Sozialstaats natürlich auch darin besteht – als dritte Hauptfunktion des
Sozialstaats quasi –, für sozialen Ausgleich zu sorgen, dafür, dass die
Kluft zwischen Arm und Reich nicht immer tiefer wird.
Das war
bei den Vätern und wenigen Müttern unserer Verfassung eine ganz konkrete
Absicht, dass sie in Artikel 20 und Artikel 28 deutlich reingeschrieben
haben, die Bundesrepublik Deutschland ist ein sozialer Bundesstaat bzw.
ein sozialer Rechtsstaat. So, das beruhte auf der Vorstellung, es muss
Verteilungsgerechtigkeit geben, also es darf der Reichtum des Landes
sich nicht in den Händen von wenigen konzentrieren, so dass für die
große Masse der Bürger kaum Nennenswertes übrig bleibt.
Heute ist
es aber genau so. Selbst der beschönigte 4. Armuts- und
Reichtumsbericht der Bundesregierung von 2013 sagt, dass die reichsten
10 Prozent der Haushalte über 53 Prozent des gesamten Nettovermögens in
Händen halten, während die ärmere Hälfte der Bevölkerung, also 50
Prozent, nur über 1 Prozent des Gesamtnettovermögens verfügen darf. Über
40 Millionen Menschen leben sozusagen von der Hand in den Mund.
Der
Durchschnittsverdiener, der kein Vermögen besitzt, sondern lediglich
nur seinen ungesicherten Arbeitsplatz, befindet sich in einer Art
sozialem Schwebezustand zwischen Armut und Wohlstand, vom Absturz trennt
ihn nur eine schwere Erkrankung oder die noch nicht ausgesprochene
Kündigung.
"Nur Reiche könn sich armen Staat leisten"
Während
sich das private Nettovermögen allein zwischen 2007 und 2012 um 1,4
Billionen Euro erhöht hat, ist das Nettovermögen des Staats laut 4. ARB
in den letzten beiden Jahrzehnten um mehr als 800 Milliarden Euro
gesunken. Entsprechend sind die Auswirkungen. Es wird verkündet, man
müsse ’den Gürtel enger schnallen‘.
Nur die Reichen können sich
einen armen Staat leisten, sie umsorgen sich selbst, ihre Kinder
besuchen Privatschulen und ausländische Universitäten, sie sind auf gute
staatliche Schulen und Krankenhäuser, auf öffentliche Schwimmbäder,
Bibliotheken und sonstige kommunale Einrichtungen nicht angewiesen. Aus
ihrer Wahrnehmung fällt die Lebensrealität eines abhängig Beschäftigten
vollkommen heraus.“ (Heute muss ein Arbeitnehmer 45 Jahre lang in
Vollzeit arbeiten, und das zu einem Stundenlohn von über 10 Euro, damit
er im Alter eine Rente knapp über dem Hartz-IV-Niveau erreicht. 4,7
Millionen Arbeitnehmer verdienen aber derzeit weniger. Anm. G.G.)
„Jedenfalls,
diese beiden Vorstellungen von Gerechtigkeit, zum einen
Bedarfsgerechtigkeit als Aufgabe des Sozialstaats herzustellen und zum
anderen Verteilungsgerechtigkeit, die werden mehr und mehr verdrängt.
Natürlich durch neoliberale Ideologen, ihre Thinktanks und
Einrichtungen. Da gibt es z. B. das Institut der deutschen Wirtschaft in
Köln mit seinem Direktor Michael Hüther, der behauptet, diese Kluft
zwischen Arm und Reich sei ein Märchen, in Wirklichkeit schließe sie
sich – oder würde zumindest nicht größer.
Das Institut der
deutschen Wirtschaft hat als Lobbyeinrichtung der deutschen Wirtschaft
natürlich ein verständliches Interesse daran, die soziale Ungleichheit
kleinzurechnen. Da wird jetzt sehr stark die ’Chancengerechtigkeit‘
betont. Sie haben eine Untersuchung gemacht, bei der angeblich
rausgekommen ist, dass die Chancengerechtigkeit die Teilgerechtigkeit
ist, die die Deutschen am wichtigsten finden.
Früher in den 70er
Jahren sprach man mal von Chancengleichheit als Ziel. Heute nehmen nicht
nur die FDP, sondern auch andere Parteien diese Chancengerechtigkeit in
ihre Programmatik auf. Damit ist aber gar nichts ausgesagt, es ist so,
als würde man mir und allen anderen ermöglichen, zur Lottoannahmestelle
zu gehen und Lotto zu spielen. Dann hätten wir diese Art von
Chancengerechtikeit.
Der vorherrschende Gerechtigkeitsbegriff
wurde in dreifacher Hinsicht transformiert: von der Bedarfs- zur
Leistungsgerechtigkeit, von der Verteilungs- zur Teilhabegerechtigkeit
und von der sozialen Gerechtigkeit zur Generationengerechtigkeit, wobei
dieser Begriff ablenken soll von der wachsenden Ungerechtigkeit
innerhalb aller Generationen. Eines jedenfalls ist vollkommen
unbestreitbar: Gerechtigkeit kann es nur geben, wenn es ein Mindestmaß
von sozialer Gleichheit gibt.
Das auszublenden, dass das nicht
der Fall ist, es möglichst zu verdrängen, ist Ziel der Propagierung von
solchen neuen, modischen Vokabeln und Leerformeln. Sprachkritik ist auch
sehr wichtig. Die Verdrehung von Worten und Werten, die Umdeutung
tradierter Begriffe wie Gerechtigkeit, Gleichheit, Reform, das ist
Sprachmissbrauch als politisches Instrument zum Zweck der ’Gehirnwäsche‘
und Vernebelung ihrer ursprünglichen Bedeutung.
Nur Bildung reicht nicht
In
der Zeit des ’Wirtschaftswunders‘ in der Bundesrepublik gab es den
Slogan ’Wohlstand für Alle‘, er stammt vom 1957 erschienenem
gleichnamigen Buch von Ludwig Erhard. Heute ist nur noch ’Bildung für
alle‘ das Versprechen, das die Bundeskanzlerin gibt. Dieses Versprechen,
die Armut mit Bildung zu bekämpfen, kann vielleicht für Einzelfälle
funktionieren, es ist aber Bildung längst kein Garant mehr dafür, dass
sie ein berufliches Fortkommen und gutes Einkommen sichert.
11
Prozent aller im Niedriglohnsektor Tätigen haben z. B. einen
Hochschulabschluss. Selbst im öffentlichen Dienst an den Hochschulen
sind es 80 Prozent inzwischen, die nur noch eine befristete Stelle
haben. Also das ist ein Bereich, der ja allgemein als gesellschaftlich
privilegiert gilt. Dennoch wird unverdrossen propagiert, es soll aus der
Bundesrepublik eine Bildungsrepublik gemacht werden. Wer keine oder nur
schlecht bezahlte Arbeit hat, hat eben nicht genug
Bildungsanstrengungen gemacht.
Tatsächlich ist es aber so, dass
bei immer besserer Bildung die Jungen z. B. einfach nur auf höherem
Niveau um die Arbeitsplätze konkurrieren, unbezahlte Praktika machen und
dass noch mehr Taxifahrer mit Hochschulabschluss herumfahren.
Und
an den Hochschulen selbst ist die Bildung ja auch ’verschlankt‘ worden.
Unter Bildung wird nur noch berufliche Qualifikation verstanden, die
Hochschulen sollen in möglichst kurzen Studiengängen, sprich
Bachelor-Studiengängen, für den Arbeitsmarkt die erforderlichen Kräfte
produzieren. Ich habe natürlich Bachelorisierung, Masterisierung,
Modularisierung und all das bekämpft, denn im Grunde wird die
Universität dadurch reduziert auf eine akademische Berufsschule.
Zugleich
wurde die Hochschule umstrukturiert, und ich muss mit ansehen, wie
stark auch meine Universität hier immer mehr zu einem Unternehmen
gemacht wird. Stichwort Exzellenzinitiative. Auf dem Einzelnen lastet
ein immer stärker werdender Druck, nur noch das an Wissenschaft zu
produzieren, was verwertbar ist und ökonomischen Gewinn abwirft. Der
Konformismus in der Wissenschaft ist inzwischen so groß, wie er seit den
50er Jahren der bleiernen Adenauerzeit nicht mehr war.
Bildungsversprechen
taugen nicht zur Armutsbekämfung. Und auch nicht Reichtumsförderung auf
steuerpolitischem Gebiet. Was nötig wäre, ist eine Umverteilung nach
unten, und zwar von Einkünften, Vermögen und auch von Arbeit.
Arbeitszeitverkürzung wäre ein ganz wichtiger Ansatz und ebenso
Lebensarbeitszeitverkürzung. Unabdingbar ist natürlich eine inhaltliche,
organisatorische und strukturelle Erneuerung des sozialen
Sicherungssystems.
Wobei ich Ihnen an dieser Stelle sagen muss,
ich halte nichts vom ’bedingungslosen Grundeinkommen‘. Das wird Sie
vielleicht wundern, aber ich will meine Gründe darlegen, vielleicht kann
ich Sie ja überzeugen: Ins Gespräch gebracht wurde es als Alternative
zum Sozialstaat, nach dem Motto, wir vertrauen jetzt nicht mehr auf
unsere bisherigen sozialen Sicherungssysteme, sondern wir lösen das, was
einstmals hart erkämpft wurde und wie es besteht seit Bismarck, ab und
ersetzen es komplett durch ein steuerfinanziertes bedingungsloses
Einkommen. Das ist für mich Sozialpolitik nach dem Gießkannenprinzip,
ein Grundeinkommen für alle Mitglieder der Gesellschaft, ob arm ob
reich.
Ein bedingungsloses Grundeinkommen wäre eine Falle
Hier
wird das Prinzip der Bedarfsgerechtigkeit vollkommen auf den Kopf
gestellt. Es gibt verschiedene Modelle, wobei das Konzept der Linken
sich allerdings von dem der anderen unterscheidet. Einer der
Hauptvertreter fürs bedingungslose Grundeinkommen ist Götz Werner,
Milliardär und Gründer der DM-Drogeriemarkt-Kette, und der braucht nun
wirklich kein bedingungsloses Grundeinkommen von 1.000 oder 1.500 Euro
vom Staat. Ich als C4-Professor brauche es auch nicht.
Die andere
Sache ist aber, dass es für die, die es brauchen, eine Falle ist. Es
wäre im Grunde ein Kombi-Lohn für ALLE. Es wäre ein eindeutiges Signal
an die Unternehmer, das als Lohnsubvention aufzufassen. Der ohnehin
schon ausufernde Niedriglohnsektor, in dem jetzt schon fast alle
Beschäftigten arbeiten – über 4 Millionen Menschen arbeiten für einen
Bruttostundenlohn von unter 7 Euro –, der würde noch breiter.
Sehr
deutlich ist das heute ja schon an der immer größer werdenden Zahl von
’Aufstockern‘. Hartz IV ist ja nicht nur für Langzeitarbeitslose, es
werden auch 1,3 Millionen Erwerbstätige finanziert, weil ihre Einkommen
so gering sind, dass sie ergänzend finanzielle Leistungen vom Jobcenter
in Anspruch nehmen müssen.
Und wenn man das Grundeinkommen
finanzieren will, so wie Götz Werner, nämlich über eine Erhöhung der
Mehrwertsteuer, dann wird das Geld beim Einkauf ja schon wieder
aufgezehrt. Dem hält er das Argument entgegen, dass durch den von ihm
gewünschten vollkommenen Wegfall der Einkommens-, Gewerbe- und
Körperschaftssteuer für Unternehmer diese dann, wegen der finanziellen
Entlastung, ihre Preise senken würden. Das ist natürlich ein genialer
Einfall, um auch noch die letzten Verpflichtungen loszuwerden.
Außerdem
würde eine 50- oder 100-prozentige Erhöhung der Mehrwertsteuer dazu
führen, dass gerade diejenigen, die wenig haben, die sozial
Benachteiligten, die jeden Cent in den notwendigen Alltagskonsum stecken
müssen, ihr bedingungsloses Grundeinkommen auch noch selber
finanzieren. Ich kann natürlich verstehen, dass viele, die durch
Schikanen und Sanktionen der Jobcenter drangsaliert werden und keine
ruhige Nacht mehr haben, nach diesem Strohhalm nur allzu gerne greifen
würden.
Licht am Ende des Tunnels
Aber das Licht am Ende des
Tunnels würde sich bald als Trugschluss erweisen, denn über das
Grundeinkommen hinaus gibt es dann keinerlei verbürgten Rechtsanspruch
mehr. Auf nichts! Es ist alles abgegolten. Die eigentlichen Gewinner
sind wieder mal nur die Vermögenden und Unternehmen, die endlich von
allen Abgaben befreit wären.
Es ist ja heute schon so, dass nur
noch Rudimente der ehemaligen Ansprüche der Arbeitnehmer und
Arbeitslosen übrig geblieben sind. Dahinter steckt die Absicht, dass der
Sozialversicherungsstaat in der Tradition Bismarcks mehr und mehr zu
einem Fürsorge-, Almosen- und Suppenküchenstaat gemacht wird.
Im
Resultat führt das zu einer ’US-Amerikanisierung‘ unseres Sozialstaats.
Und es führt dazu, dass den prestigebedachten Reichen die Möglichkeit
eröffnet wird, zu spenden, zu stiften, als Mäzene aufzutreten und
Almosen zu verteilen. Almosen übrigens, die verteilte der Sozialstaat
vor seiner Demontage nämlich gerade nicht, weil er die Grundrechte
beachten musste und sein Handeln auf Rechtsansprüchen beruhte.
Almosenempfänger hingegen haben keinen Rechtsanspruch. Sie sind der
Bereitschaft der Reichen ausgeliefert, etwas abzugeben von ihrem
Reichtum.
Das spiegelt auch genau dieses neoliberale und
marktradikale Denken wider, dass das mündige Individuum im Sinne seiner
Freiheit – jetzt nicht der Freiheit des Citoyens, sondern des Bourgeois,
und diese Unterscheidung ist wesentlich – entscheidet, was und wofür
und wem es gibt von seinem Reichtum. Die Bedürftigen hingegen haben die
Freiheit, Wohlverhalten, Bescheidenheit, Fügsamkeit und natürlich auch
Dankbarkeit an den Tag zu legen – oder auch nicht.
Nein! Wofür
ich plädiere, ist etwas ganz anderes: eine allgemeine, einheitliche und
solidarische Bürgerversicherung als eine konsequente Weiterentwicklung
des von Bismarck begründeten Sozialversicherungssystems. Dazu ist ein
Um- und Ausbau des bestehenden Systems zu einer Sozialversicherung aller
Wohnbürgerinnen- und -bürger nötig. Und dadurch erfährt diese
Bürgerversicherung auch ihre wichtigste Rechtfertigung, dass sie nämlich
den längst fälligen Übergang zu einem die gesamte Wohnbevölkerung
einbeziehenden solidarischen Sicherungssystem verwirklicht.
Es braucht eine Bürgerbewegung
Dass
nicht mehr nur Arbeitgeber und Arbeitnehmer, sondern auch Selbständige,
Freiberufler, Beamte, Abgeordnete, Minister usf. mit ihren sämtlichen
Einkommen und Einkunftsarten zur Finanzierung der Leistungen im Sozial-
und Gesundheitsbereich herangezogen oder ’verbeitragt‘ werden, wie der
Fachausdruck heißt. Ich bin übrigens, das ist ein wichtiger Punkt, den
ich einschieben möchte, nicht für den Wegfall des Arbeitgeberbeitrages,
sondern im Sinne einer Maschinensteuer, eines Wertschöpfungsbeitrags
kann ich mir sogar vorstellen, dass man das noch ausweitet. Jedenfalls
kann ich mir eine solidarische Bürgerversicherung für alle geeigneten
Versicherungszweige vorstellen, auch für die Kranken-und
Pflegeversicherung .
Und es ist doch die Frage, warum eigentlich
der riesige private Reichtum nicht stärker an der Finanzierung des
sozialen Sicherungssystems beteiligt werden sollte. Es muss sich
endlich, um das durchzusetzen, eine breite, möglichst alle
Bevölkerungsschichten übergreifende Bürgerbewegung herausbilden, die
solch eine Bürgerversicherung mit aller Macht einfordert und damit eine
Umverteilung von oben nach unten ermöglicht. Und es muss durch eine
bedarfsorientierte Grundsicherung dafür gesorgt werden, dass es keine
Armut, Unterversorgung und soziale Exklusion gibt. Bürgerversicherung
und Grundsicherung müssen als siamesische Zwillinge gedacht werden.
Diese
soziale Grundsicherung muss ihren Namen aber auch verdienen. Sie muss
deutlich über dem Niveau der heutigen Sozialhilfe liegen. Sie muss das
soziokulturelle Existenzminimum – und zwar ohne eine entwürdigende
Antragstellung und eine bürokratisch-exzessive Bedürftigkeitsprüfung –
wirklich problemlos sicherstellen. Sie muss also armutsfest und
repressionsfrei sein und eine weder durch Existenzangst bestimmte noch
von Ausgrenzung bedrohte Teilhabe am gesellschaftlichen und kulturellen
Leben ermöglichen. Es bleibt zu hoffen, dass dieses Modell nicht durch
die ’Grundsicherung für Arbeitsuchende‘ im SGB II nach Hartz IV für
immer diskreditiert ist.
Mein Resümee ist: Wenn hier der
Neoliberalismus mit seiner marktradikalen Sozialphilosophie – von der
ich sage, dass sie eine politische Zivilreligion ist, die im Grunde alle
Poren der Gesellschaft bereits durchdringt –, wenn die zur herrschenden
Weltsicht wird, dann geht das einher mit einem rigiden Armutsregime,
mit einer Kriminalisierung der Armen und Stigmatisierung der
Überflüssigen.
Ich halte nichts von der Verelendungstheorie,
deshalb sage ich, gegen eine solche Entwicklung müssen sich breite
Bündnisse bilden zwischen Arbeitslosenforen, Gewerkschaften, Kirchen,
Globalisierungskritikern wie Attac und den vielen anderen kritischen
Organisationen und Initiativen, die ja zahlreich existieren in diesem
Land. Es gibt in der Gesellschaft so einen Unwillen, eine
Unzufriedenheit in dem Sinn, dass man mit sich mit dem Status quo nicht
mehr abspeisen lassen will.
Ich wünsche mir eine Renaissance des
Solidaritätsgedankens und die Schaffung eines ’inklusiven‘ Sozialstaats,
der alle Lebensformen toleriert – nicht wie Rot-Grün einen
’investiven‘, dessen Sozialpolitik zwangsläufig zu noch mehr sozialer
Selektion führt. Sicher, ich bin mir absolut bewusst darüber, mit einem
inklusiven Sozialstaat ist noch lange nicht der Kapitalismus beseitigt,
aber man hat ihn mit Sicherheit etwas erträglicher gemacht, fürs Erste.
Das ist die Dialektik, die dem Sozialstaat innewohnt. Ein solcher
Sozialstaat wäre aber sozusagen die vorgeschobenste Bastion einer
Bewegung, die einen Systemwechsel anstrebt und die will, dass dieser
Finanzmarktkapitalismus überwunden wird.“
(Quelle: Taz)
Redaktionelle Anmerkung:
Ein renomierter Wissenschaftler gibt das wieder, was wir alle schon in unserem Inneren wissen und spüren.
Der
Hartz IV - Verelendung können wir nur noch mit einem Mittel
entgegentreten: Nämlich auf die Straße zu gehen, sich politisch
engagieren, Widerstand gegen Hartz IV leisten und die richtigen
Politiker wählen!
Ich werde mich nicht "ausbeuten und versklaven" lassen!
Meine Kinder vor dem Hunger von morgen schützen und bekenne mich dazu,
Das ich "Links" wähle!
Das
ist die zur Zeit einzig reale Chance, etwas mehr soziale Gerechtigkeit
zu erfahren und den Lobbyisten ihre Grenzen aufzuzeigen!
Euer P.F
https://www.facebook.com/pages/FHP-Freie-Hartz-IV-Presse/710450658981366
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